Die Stadt Wehr treibt die Digitalisierung ihrer Verwaltung sichtbar voran. Mit der Vorstellung des aktuellen Sachstands im Gemeinderat am 3. Juni 2025 wird deutlich: Die Verwaltung setzt auf moderne Systeme, digitale Plattformen und gesetzeskonforme Strukturen.
Doch ein genauer Blick auf das vorgelegte Dokument zeigt: Der Wandel ist stark technikzentriert und folgt überwiegend einer amtsbezogenen Logik – nicht einer konsequent bürgerzentrierten.
Die eigentliche Chance, Verwaltungsleistungen grundlegend im Sinne der Nutzenden zu transformieren, bleibt bislang weitgehend ungenutzt.
Digitalisierung als Amtsprojekt – keine ganzheitliche Nutzerperspektive
Zwar verweist das Dokument auf gesetzliche Vorgaben wie das Onlinezugangsgesetz (OZG) und die SDG-Verordnung der EU, die eigentlich auf durchgängig digitale und nutzerfreundliche Verwaltungsprozesse zielen. In der Praxis jedoch richtet sich die Umsetzung in Wehr vor allem an die internen Strukturen: Jede Abteilung stellt zwei „Digitallotsen“, die Prozesse im jeweiligen Amt begleiten und betreuen. Die Digitalisierung wird damit nach Verwaltungsbereichen organisiert – nicht entlang typischer Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger.
Das bedeutet konkret: Wer einen Antrag stellen will, muss sich nach wie vor durch die Logik einzelner Ämter und Zuständigkeiten bewegen – nur eben digital.
Die technische Oberfläche mag sich verändern, die strukturelle Komplexität bleibt bestehen. Die Frage, wie sich ein Vorgang aus Sicht des Bürgers möglichst einfach, selbsterklärend und medienbruchfrei gestalten ließe, wird kaum thematisiert. Die nutzerzentrierte Perspektive tritt hinter der internen Funktionslogik zurück.
Serviceportale statt Servicekultur
Als zentrale Schnittstelle für digitale Leistungen dient das Landesportal service-bw.de. Zwar werden hier verschiedene OZG-Leistungen angeboten, doch ist die Auswahl stark davon abhängig, was Bund und Land technisch bereitstellen. Die Stadt Wehr nutzt überwiegend Standardprozesse oder verweist auf externe Online-Angebote anderer Behörden. Eigenentwicklungen werden vermieden – unter anderem, weil die Meinung besteht, der technische Support sei nicht gesichert.
Hinzu kommt: Zwar ist die Rede von „mehr Servicequalität“ und „einfacheren Verfahren“, doch konkrete Maßnahmen zur Vereinfachung übergreifender Abläufe oder zur Vereinheitlichung von Nutzererlebnissen fehlen. Die Serviceportale bleiben damit isolierte digitale Antragsformulare, keine ganzheitlich durchdachten Dienstleistungsprozesse. Die konsequente Ausrichtung an Lebenslagen – etwa „Kind bekommen“, „Umzug“ oder „Pflege organisieren“ – findet nicht statt.
Digitalisierung als technische Ergänzung – nicht als funktionale Neuordnung
Die Wehr-App, die im Juni 2025 starten soll, wird als zentrales digitales Informations- und Beteiligungsinstrument vorgestellt. Sie ermöglicht unter anderem Push-Benachrichtigungen bei Straßensperrungen oder den Zugriff auf den Mängelmelder. Doch auch hier gilt: Die Angebote zielen vorrangig auf Informationsvermittlung – nicht auf aktive Gestaltung nutzerfreundlicher Verwaltung. Der Mehrwert liegt in der Kanalvielfalt, nicht im Abbau struktureller Hürden.
Noch deutlicher wird das in Bereichen wie dem digitalen Posteingang oder der eAkte. Hier richtet sich die Digitalisierung klar an die internen Abläufe: Post wird eingescannt, digital zugeordnet, bearbeitet. Was nach Effizienz klingt, bleibt innerhalb der Amtsgrenzen organisiert. Für Bürgerinnen und Bürger verändert sich das Erlebnis im Kontakt mit der Verwaltung dadurch nur begrenzt – es fehlt an echter Integration der Nutzerperspektive.
Verwaltungslogik vor Bürgerlogik
Die Stadt Wehr hat im Bereich der Digitalisierung erhebliche Fortschritte gemacht. Das Engagement ist sichtbar, die Strukturen werden aufgebaut, die Verwaltung bewegt sich in Richtung Zukunft. Doch der Weg bleibt eng an die klassische Behördenlogik geknüpft. Digitalisierung wird als Verwaltungsmodernisierung innerhalb der bestehenden Ämterstruktur verstanden – nicht als Chance, Verwaltung aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger völlig neu zu denken.
Ohne einen klaren Paradigmenwechsel hin zu bürgerzentrierten, prozessorientierten und medienbruchfreien Angeboten bleibt die digitale Verwaltung ein technisches Upgrade – aber kein echter Kulturwandel. Was es braucht, ist nicht nur mehr Technik, sondern auch mehr Mut zur funktionalen Neuausrichtung. Sonst bleibt die Verwaltung digital – und trotzdem schwer erreichbar.