In Wehr soll auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Lenz ein völlig neues Stadtquartier entstehen. Geplant sind Wohnungen, Gewerbeflächen, öffentlich zugängliche Freiräume und ein neuer Zugang zur Wehra.
Bei der Einwohnerversammlung am 16. Oktober 2025 wurde das Projekt vorgestellt.
Zwischen Denkmal und Zukunftsvision
Das Gelände der ehemaligen Fabrik ist geschichtsträchtig, zentral gelegen und bietet erhebliches städtebauliches Potenzial. Vorgesehen ist die Umnutzung bestehender Gebäude sowie die Errichtung neuer Wohnhäuser. Insgesamt sollen rund 137 Wohneinheiten entstehen, ergänzt durch Gastronomie, Einzelhandel und begrünte Aufenthaltsbereiche.
Aus Sicht der Planer soll ein lebendiges und gemischt genutztes Quartier entstehen. Der Zugang zur Wehra, Sitzgelegenheiten und kleine Stege sollen das Areal für alle Bürgerinnen und Bürger erlebbar machen. Auch Barrierefreiheit ist vorgesehen. Insgesamt wirkt die Vision modern und gut durchdacht.
Was bedeutet das für die Bevölkerung?
Trotz der attraktiven Pläne bleiben Fragen offen – vor allem in Bezug auf die Auswirkungen für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner:
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Verkehr und Infrastruktur: Mit neuen Wohnungen, Gewerbe und Gastronomie ist ein Anstieg des Verkehrs zu erwarten – sowohl durch Anwohner als auch durch Besucher. Zwar ist ein Zugang über die Hauptstraße vorgesehen, alternative Lösungen wie eine zusätzliche Brücke über die Wehra wurden jedoch verworfen. Ohne parallel laufende Planungen für die übrige Innenstadt bleibt offen, ob das Verkehrskonzept tragfähig ist.
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Wohnen für wen?: Zwar wird im neuen Quartier eine soziale Durchmischung angestrebt, doch ohne verbindliche Quoten und langfristige Mietbindungen bleibt offen, ob die Wohnungen für Menschen mit geringerem Einkommen dauerhaft bezahlbar sein werden – oder ob sich durch die Marktdynamik ein hochpreisiges Viertel entwickelt.
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Soziale Integration: Ein neues Quartier verändert die Stadt. Wenn es nicht gelingt, es sozial gut anzubinden – etwa durch Schulen, Kitas, Nahverkehr und Treffpunkte – kann aus einer guten Idee ein isolierter Raum werden, der mit dem restlichen Stadtleben wenig zu tun hat.
Beteiligung braucht mehr
Die bisherige Präsentation des Projekts war professionell, doch eine Bürgerversammlung allein ersetzt keinen echten Beteiligungsprozess. Viele wichtige Details – etwa zu Eigentumsverhältnissen, Mietpreisen oder der langfristigen Nutzung der öffentlichen Flächen – sind noch nicht geklärt.
Gerade in Zeiten, in denen Wohnraum knapp und Stadtentwicklung sensibel ist, braucht es mehr Transparenz und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Nicht jeder kritische Punkt kann in einer Veranstaltung angesprochen werden. Offene Beteiligungsformate, kontinuierliche Information und die Möglichkeit, Vorschläge einzubringen, wären hier sinnvoll – nicht als Pflichtübung, sondern als Voraussetzung für Akzeptanz.
Städtebau mit Verantwortung
Die Stadt strebt eine Förderung über das Landes-Sanierungsprogramm an – ein sinnvoller Schritt, um die finanziellen Lasten des Projekts abzufedern. Gleichzeitig erhöht dies aber auch die Verantwortung, das Projekt im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten – nicht nur wirtschaftlich, sondern sozial und ökologisch nachhaltig.
Chance mit Bedingungen
Das neue Stadtquartier auf dem Lenz-Areal kann ein echter Gewinn für Wehr werden – wenn die Umsetzung nicht nur architektonisch ambitioniert, sondern auch gesellschaftlich durchdacht ist. Dafür braucht es mehr als Planzeichnungen und gute Reden. Es braucht einen offenen Prozess, in dem Stimmen gehört und berücksichtigt werden. Nur so kann ein Ort entstehen, der wirklich für alle da ist.
