Raum für Gestaltung: Was falsch läuft in Wehr

04.07.2025

Wenn es um Stadtentwicklung geht, wie dem Umbau des Talschulplatzes, kommen verschiedene Interessen zusammen. Doch es geht nicht nur um die Abwägung von Interessen und Möglichkeiten, sondern um Dialog, Zielsetzungen und am Ende um bessere Alternativen für alle.

Welche Rolle hat wer?

In einer Stadt sind die Rollen mehr oder weniger klar verteilt. Alles dreht sich um die Bürgerinnen und Bürger – sie sind die gestaltende Kraft mit meist konkreten Wünschen, Erwartungen, aber auch Interessen. Sie wollen leben, arbeiten und eine Infrastruktur, die Schutz, Versorgung, Mobilität und Lebensqualität vereint.

Die zweite Rolle nehmen die politischen Akteure ein. Direkt von den Bürgern gewählt, ist es ihre Aufgabe, die vielfältigen Erwartungen und Interessen in konkrete Maßnahmen und Projekte zu überführen – so, dass sich zum einen der Wunsch von Mehrheiten widerspiegelt, aber auch grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger – von Minderheiten bis zu sozial benachteiligten Menschen – ein menschenwürdiges Leben führen können. Das ist kein Randthema, sondern gesetzlich fest und unaufhebbar für die gesamte Bundesrepublik verankert.

Keine explizite Rolle, jedoch eine tragende Kraft, ist die lokale Wirtschaft sowie Vereine und Organisationen. Handwerksbetriebe, Einzelhandel und Gewerbebetriebe profitieren von den Einwohnern und gestalten das Stadtleben unabhängig von politischen Entscheidungen – direkt am Bedarf ausgerichtet. Sie erwirtschaften aus den Bedürfnissen ihrer Kunden nicht nur Gewinne, sondern geben davon auch einen Teil an die Stadtgemeinschaft zurück – in Form von Steuern und Abgaben.

Diese Rollen und Kräfte agieren nicht für sich selbst, sondern beeinflussen sich immer gegenseitig. Entscheidungen des einen haben stets direkten Einfluss auf die Möglichkeiten der anderen.

Welche Erwartungen müssen erfüllt werden?

Aus den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger ergeben sich Herausforderungen – für politische Akteure ebenso wie für die Unternehmer bzw. die Wirtschaftskraft in Wehr.

Die Erwartungen der Bürger haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert: Schutz, Versorgung, Mobilität und Lebensqualität. Verändert haben sich jedoch die Bedingungen, unter denen diese Erwartungen erfüllt werden müssen.

Beispielhaft: Die Auswirkungen des Klimawandels, wirtschaftliche Instabilität und Entscheidungen aus der Vergangenheit lassen sich nicht mehr mit altbekannten Methoden begegnen. Sie erfordern ständige Anpassung, da sich diese Herausforderungen schnell und nahezu unvorhersehbar entwickeln.

Was ist notwendig – und was läuft falsch in Wehr?

Aus den Rollen, den Erwartungen und den Bedingungen ergeben sich ganz konkrete Verhaltensweisen. Bevor es überhaupt zu einer Maßnahme kommen kann, müssen Bürger angehört, Bedingungen erkannt und Möglichkeiten abgewogen werden.

Der Weg, den die Stadt Wehr – insbesondere der Gemeinderat, die Stadtverwaltung und die Servicegemeinschaft als wirtschaftlicher Vertreter – eingeschlagen hat, lässt sich jedoch wie folgt beschreiben:

Der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern findet nicht, zu spät oder in der falschen Form statt. Statt Impulse und Ideen auszuschöpfen, werden Annahmen getroffen und Maßnahmen daraus abgeleitet. Passen die Maßnahmen nicht zu den Bedingungen, werden sie verworfen – und enden im Stillstand. Hat man passende Maßnahmen zu den Bedingungen gefunden, passen sie häufig nicht mehr zu den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger – und erreichen damit keinen Mehrwert mehr.

Ein Lösungsweg: Die Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen – und zwar im echten und regelmäßigen Dialog, aus dem sich eine Meinung im Gemeinderat bildet.

Ein weiterer Punkt ist die fehlende oder falsch gedachte Priorisierung. Stadtverwaltung und Gemeinderat machen sich viele Gedanken, welche Maßnahmen umgesetzt werden können und wie sie sich gestalten lassen. Der erste Blick führt dabei auf das Bankkonto. Sind nicht ausreichend finanzielle Mittel vorhanden, werden Ideen halbherzig, nicht vollständig – und damit oftmals ohne Nutzen für die Erwartungen der Bürger – umgesetzt. Der erste Blick in die Finanzen ist insofern falsch, da man davon ausgehen kann, dass für grundlegende Dinge wie Schutz und Infrastruktur auch finanzielle Mittel durch Förderungen bereitgestellt werden können.

Ein Lösungsweg: Der Gemeinderat muss Lösungen skizzieren, priorisieren, mit den Erwartungen abgleichen – und erst dann Wege finden, wie diese mit möglichst wenig Verlust umgesetzt werden können.

Die Wirtschaftskraft ist derzeit darauf bedacht, bestehende Konzepte in deren bisheriger Form zu erhalten. Verkaufsoffene Sonntage, Stadtfeste und Lose zur Weihnachtszeit wirken teilweise nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern werden als grundlegend für die wirtschaftliche Existenz betrachtet. Veränderung und Anpassung an die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger wird mit dieser Sichtweise blockiert – und sogar die strukturelle Entwicklung der Stadt geschwächt.

Ein Lösungsweg: Wenn Maßnahmen unter Berücksichtigung der Erwartungen der Bürger vorgestellt oder umgesetzt werden, können daraus neue Ideen entstehen, die sich fast automatisch in wirtschaftlichem Aufschwung widerspiegeln. Veränderung kann auch als Chance wahrgenommen werden – aber nur, wenn sie nicht isoliert betrachtet wird.