Vom Verdachtsfall zur Einstufung als rechtsextrem: Was das Gutachten über die AfD offenbart

04.05.2025

Am 2. Mai 2025 wurde die Alternative für Deutschland (AfD) vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Grundlage dafür ist ein mehrjähriger Erkenntnisprozess, der bereits im 1.000-seitigen „Folgegutachten“ von Februar 2021 seinen Höhepunkt fand.

Dieses wurde durch Netzpolitik.org öffentlich zugänglich gemacht – und zeigt: Die Entscheidung beruht auf einem belastbaren Fundament von Fakten und rechtlichen Bewertungen.

Wie kam es zur Einschätzung durch das BfV?

Methodik und Materialbasis

Das BfV arbeitete mit öffentlich zugänglichen Quellen: Reden, Interviews, Social-Media-Beiträge, Parteiprogramme, Bundestagsreden und Medienberichte.

Insgesamt wurden 4.600 Belege kritisch ausgewertet, begleitet von über 3.100 Fußnoten zur Nachvollziehbarkeit.

Das Ziel: Herauszufinden, ob tatsächliche, verfassungsrelevante Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen innerhalb der AfD vorliegen.

Zentrale Prüfmaßstäbe

Das BfV prüfte systematisch die folgenden Punkte: Achtung der Menschenwürde, Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, Schutz von Minderheiten und Religionsfreiheit. Diese Prinzipien sind im Grundgesetz verankert – insbesondere in Artikel 1 (Menschenwürde), Artikel 20 (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit) und Artikel 4 (Religionsfreiheit).

Was steht konkret im Gutachten? – Inhalte und Beispiele

Das Gutachten listet eine Vielzahl gravierender Befunde. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Menschenwürdewidriges Volksverständnis

Die AfD propagiert in weiten Teilen ein „völkisch-abstammungsmäßiges Volksbild“, das auf Herkunft statt auf staatsbürgerlicher Gleichheit beruht. Begriffe wie „Remigration“, „Umvolkung“, „Bevölkerungsaustausch“ oder „Bio-Deutscher“ sind vielfach dokumentiert. Diese Rhetorik widerspricht der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – insbesondere weil bestimmte Gruppen systematisch als „nicht zugehörig“ markiert werden.

Fremdenfeindlichkeit und rassistische Stereotypen

Zuwanderer – insbesondere aus muslimischen Herkunftsländern – werden pauschal diffamiert und abgewertet. Beispiele: „Invasoren“ für Geflüchtete, „Kulturfremde“ oder „Messermänner“, Islam als „politische Ideologie“ statt Religion. Aussagen wie diese finden sich nicht nur vereinzelt, sondern strukturell auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene.

Muslimfeindlichkeit und Angriffe auf Religionsfreiheit

Das Gutachten stellt fest: Muslime werden parteiintern systematisch ausgegrenzt. Es gibt Forderungen zur Schließung von Moscheen, zum Verbot von Minaretten und zur Entfernung islamischer Kultur aus dem öffentlichen Raum. Diese Positionen verstoßen gegen Artikel 4 GG (Religionsfreiheit).

Verfassungsfeindlicher Umgang mit Demokratie und Rechtsstaat

Führende AfD-Vertreter relativieren oder delegitimieren zentrale Prinzipien der Bundesrepublik: Gewaltenteilung wird infrage gestellt, das staatliche Gewaltmonopol wird abgelehnt, das parlamentarische System wird als „Parteienkartell“ oder „Volksverräter-Club“ bezeichnet. Die AfD beruft sich auf ein „Widerstandsrecht“ – eine Rhetorik, die verfassungsfeindliche Strategien legitimieren soll.

Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken

Das Gutachten dokumentiert enge ideologische und personelle Verflechtungen mit dem Institut für Staatspolitik, „Ein Prozent“, der Identitären Bewegung, PEGIDA und dem Magazin Compact. Diese Netzwerke gelten als klar rechtsextremistisch und strategisch auf eine Verschiebung des politischen Diskurses ausgelegt.

Einfluss des „Flügels“

Der formal aufgelöste „Flügel“ (um Björn Höcke) ist laut Gutachten weiterhin hochaktiv und einflussreich. Ganze Landesverbände (z. B. in Sachsen, Thüringen, Brandenburg) gelten als „Flügel-dominiert“. Der Flügel wird als verfassungsfeindlich und rechtsextremistisch eingestuft – die Einflussnahme auf die Gesamtpartei ist erheblich.

Sind die Einschätzungen nachvollziehbar – oder überzogen?

Das Gutachten arbeitet juristisch sauber und differenziert. Selbst mögliche entlastende Punkte wurden berücksichtigt: Abgrenzungsversuche (z. B. durch Parteisprecher Meuthen 2020) wurden dokumentiert. Jedoch bewertet das BfV viele dieser Maßnahmen als taktisch, nicht substanziell. Ein „gewichtiger Teil“ der Partei zeigt laut Gutachten offen extremistische Tendenzen.

Außerdem: Die Gerichte bestätigten das Gutachten. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht NRW sahen einen „begründeten Verdacht“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen.

Keine Momentaufnahme, sondern strukturelles Problem

Die Hochstufung der AfD zur „gesichert rechtsextremen Bestrebung“ durch das BfV ist die logische Folge aus dem, was das Gutachten bereits 2021 deutlich machte: Die Partei verfolgt in großen Teilen ein menschenfeindliches, antidemokratisches und grundgesetzwidriges Projekt. Das ist keine Randerscheinung, sondern – wie das Gutachten zeigt – eine strukturell tief verankerte Entwicklung.