Ein Kommentar zur bevorstehenden Ausschusssitzung am 8. Mai 2025
Wenn es nach der Stadtverwaltung geht, ist Wehr ein kulturelles Zentrum, ein touristischer Geheimtipp und ein Vorbild europäischer Städtepartnerschaft. So liest sich zumindest das umfassende Sitzungspapier für die kommende Sitzung des Ausschusses für Kultur, Tourismus und Städtepartnerschaften. Doch wo endet die Selbstdarstellung – und wo beginnt eine ehrliche Bilanz?
Städtepartnerschaften: Formal aktiv – aber für wen?
Wehr pflegt gleich mehrere Städtepartnerschaften: mit Bandol (Frankreich) als langjähriger Hauptpartner, sowie Freundschaftsverträge mit Nettuno (Italien) und Onex (Schweiz). Seit 2024 gibt es auch erste Kontakte zur italienischen Gemeinde Castelvetere, getragen von familiären Bindungen aus der Wehrer Bevölkerung. Auf dem Papier wirkt das eindrucksvoll – und tatsächlich listet die Stadtverwaltung in ihrer Sitzungsvorlage vom 08.05.2025 eine Vielzahl an Aktivitäten und Delegationsreisen auf.
Doch bei genauerer Betrachtung bleibt der Eindruck: Die Partnerschaften finden fast ausschließlich im kleinen Kreis statt – mit Beteiligung von Rathaus, Freundeskreis-Vorstand, Vereinsvertretern und wenigen engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Breite Teilhabe der Bevölkerung? Kaum erkennbar. Schulpartnerschaften, Jugendprogramme oder digitale Austauschformate existieren nur punktuell oder werden bestenfalls einmal im Jahr erwähnt.
Der Freundeskreis Städtepartnerschaften e.V. übernimmt große Teile der Organisation – lobenswert, aber auch ein Zeichen dafür, dass die Städtepartnerschaften nicht in der städtischen Gesamtstrategie verankert sind. Trotz der offiziell hohen Bedeutung und Auszeichnungen wie der Verschwisterungsmedaille bleibt der Eindruck: Das Engagement ist stark vergangenheitsorientiert, statt gezielt auf die Zukunft ausgerichtet.
Ein modernes Verständnis von Städtepartnerschaft – das mehr Menschen einbezieht, digitale Begegnungsformate nutzt und aktuelle gesellschaftliche Themen wie Inklusion, Klima oder europäische Bildung aufgreift – ist nicht erkennbar dokumentiert. Hier zeigt sich deutlich: Zwischen verwaltungstechnischer Aktivität und gelebtem, zeitgemäßem Austausch liegt noch ein weiter Weg.
Tourismus: Natur, Broschüren und viele gute Vorsätze
Die Stadt zählt steigende Übernachtungszahlen, insbesondere 2024 mit über 24.000 Übernachtungen – ein beachtlicher Zuwachs. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Es kommen mehr Gäste, aber sie bleiben kaum – die Aufenthaltsdauer ist extrem kurz. Oft handelt es sich eher um Durchreisende als um wirkliche Touristen.
Flyer, Booklets und Info-Tafeln zeigen Engagement. Aber: Werden diese Mittel tatsächlich genutzt, oder bedienen sie vor allem ein Pflichtgefühl zur Sichtbarkeit?
Was fehlt, sind digitale Angebote mit echter Reichweite, buchbare Erlebnisse, zentrale Plattformen für Besucher – und vor allem: klare strategische Zielgruppen.
Der geplante Campingplatz? Seit Jahren angekündigt, aber bislang ohne Ergebnis.
Kulturarbeit: Viel Engagement, wenig echte Perspektive?
Die kulturelle Vielfalt in Wehr ist beeindruckend: Schlosskonzerte, Ausstellungen, Kulturscheune, VHS, Mediathek. Doch einige Projekte wirken ambitionierter als realistisch:
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Der KulTurm bleibt ein charmantes Provisorium – ohne klare Perspektive zur Professionalisierung.
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Die Schlosskonzerte stagnieren seit Jahren, Strategien zur Wiederbelebung stehen noch aus.
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Die VHS hält zwar ihr Programm stabil, erreicht aber nicht das Vor-Corona-Niveau – und scheint digital noch wenig innovativ aufgestellt.
Die Frage bleibt: Ist die Kulturarbeit der Stadt in ihrer jetzigen Form zukunftsfest oder nur traditionsbewusst?
Kommunikation und Bürgernähe: Schön gestaltet, aber an der Zielgruppe vorbei?
Die Stadt hat ihre Öffentlichkeitsarbeit sichtbar verbessert: modernisierte Website, neue Menüführung, Social Media-Präsenz – sogar eine App ist in Arbeit. Doch wie viel davon ist tatsächliche Kommunikation – und wie viel bloß Einbahnstraße?
Die Facebook-Seite der Stadt funktioniert vor allem als digitale Plakatwand. Inhalte werden dort regelmäßig gepostet, doch Kommentare oder Interaktionen mit Bürgern bleiben weitgehend aus. Die Sozialen Medien heißen nicht zufällig so – sie leben vom Dialog. Wer nur sendet, aber nie antwortet, vergibt eine große Chance auf echte Nähe.
Stolz ja – aber bitte mit Augenmaß
Die Stadt Wehr präsentiert sich selbstbewusst – vielleicht zu selbstbewusst. Viele Maßnahmen sind gut gedacht und mit Herzblut umgesetzt. Doch es fehlt oft die kritische Selbstreflexion: Wer wird erreicht? Was wirkt tatsächlich? Und was ist nur Fassade?
Die kommende Ausschusssitzung wäre eine gute Gelegenheit, sich ehrlich diesen Fragen zu stellen – und nicht nur Erfolge zu feiern. Denn wahre Stärke zeigt sich nicht im Hochglanzbericht, sondern in der Bereitschaft, eigene Konzepte zu hinterfragen.